Bad Vibrations und der Mythos des „Dead Vagina“- Syndrom
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dazu keine relevanten Studien oder Beweise, sodass das „Dead Vagina“-Syndrom nichts weiter als ein fragwürdiges Gerücht bleibt.
Aktualisiert am Oktober 21, 2023
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Bad Vibrations and the Myth of „Dead Vagina“-Syndrome
Letzte Woche hatte ich ein interessantes Gespräch mit einer Sexualpädagogin, dass mich nachträglich sehr beschäftigt hat, nachdem sie mir erklärte, dass sie ihren Schülerinnen als Erstes zu Herzen legt, sich von Vibratoren zu verabschieden. Ich musste zweimal fragen, weil ich mir nicht sicher war und zunächst davon ausging, sie würde sie ihren Schülern empfehlen. Das Gegenteil war der Fall und ich muss sagen, dass mich das ziemlich überrascht hat, weil ich dachte, das Sexualpädagogen vor allem ein Ziel haben, nämlich dem Nahebringen, dass sexuelle Erkundung, egal auf welche Art und Weise, Spaß machen soll und jeder für sich selbst herausfinden sollte, was am besten für ihn funktioniert. Zumindest ist das meine Philosophie und ich wüsste nicht, welchen Zweck der Verzicht auf Vibratoren erfüllt, wenn sie eine echte Bereicherung bei der Entdeckung der eigenen und geteilten Sexualität darstellen.
Doch dann kam es natürlich zur Sprache: das Phänomen des „Dead Vagina“-Syndroms. Vielleicht hat der ein oder andere schon einmal davon gehört oder sich mit diesem irreführenden Begriff auseinandergesetzt. „Dead Vagina“-Syndrom bedeutet eine Art Taubheitsgefühl oder dem Abstumpfen der Vagina, dass durch zu langen oder zu häufigen Gebrauch von Vibratoren vorkommen kann und dadurch unsensibel auf andere Reize macht. Wissenschaftlich bewiesen ist jedoch, dass dies eine temporäre Nachwirkung des Orgasmus ist und kein langfristiger Zustand oder sogar Schädigung. Des Weiteren kursiert der Mythos, dass die Orgasmuserfahrung bei der Benutzung von Vibratoren beeinträchtigt würde, dass man quasi nie in den Genuss eines Ganzkörperorgasmus kommen würde oder sich der Orgasmus zurückentwickelt und sich nicht mehr so intensiv anfühlt. Da kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass dies absoluter Quatsch ist und sich überhaupt nicht negativ auf die Orgasmusfähigkeit auswirkt. Tatsächlich hatte ich in Kombination zur Penetration mit Vibratoren die besten Höhepunkte meines Lebens. Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es dazu auch keine relevanten Studien oder Beweise, sodass das „Dead Vagina“-Syndrom nichts weiter als ein fragwürdiges Gerücht bleibt.
Kenne deine Bedürfnisse
In einigen Artikeln habe ich bereits daraufhin gewiesen, wie wichtig es ist, seine eigenen Bedürfnisse zu kennen und diese durch Selbstbefriedigung zu erkunden. Toys sind lediglich ein Tool, die auf spielerische Art und Weise zum Einsatz kommen können, aber kein Muss. Ich für meinen Teil liebe die zusätzliche Stimulation mit Vibratoren, klitoral, vaginal und auch anal. Dadurch habe ich meine Bedürfnisse und Wünsche entdeckt. Ich habe herausgefunden, wie ich am besten zum Höhepunkt komme, welche Lustpunkte mich am meisten triggern, wie ich squirten kann und was es bedeutet, einen analen Orgasmus zu erleben. Vibratoren haben mein Liebesleben immens bereichert, privat sowie mit Partnern an meiner Seite.
Den Konflikt, den ich im Gespräch mit der Sexualpädagogin erfahren habe, war, dass sie für meinen Geschmack zu radikal in ihrer Aussage und dem ich nenn es mal „Absetzen von Vibratoren“ umging. In dem Zusammenhang möchte ich erneut auf die Wichtigkeit der Selbsterkundung auf spielerische Art hinweisen, ohne sich in irgendwelche Richtungen lenken zu lassen, die für andere funktionieren, aber für die eigene Lust illusorisch sind. Es ist kontraproduktiv, wenn Sexualpädagogen ihre „Schülerinnen“ von etwas überzeugen wollen, nur weil sie der Ansicht sind, dass bestimmte Tools wie Vibratoren, „für sie selbst“ nicht funktionieren.
Abhängigkeiten und Überstimulation
Wenn du Vibratoren so wie ich gern benutzt und mit Partnern teilst, dir allerdings Sorgen darüber machst, dass du ohne nicht mehr zum Orgasmus kommst, probiere es aus. Berühre dich selbst, lass dich von deinen Fingern leiten und verbinde dich auf diese Weise mit deinem Körper. Wenn überhaupt, ist es eine psychologische statt physische Abhängigkeit, die dir das Gefühl geben kann, dass du die Vibrationen benötigst, um den ersehnten Höhepunkt zu erreichen. Finger und auch ein Penis können keine Vibrationen ersetzen, deswegen stehen sie auch nicht in Konkurrenz. Vibrationen bieten eine zusätzliche Stimulation, die neue Orgasmuserfahrungen bringen. Man kann sie einsetzen oder es sein lassen. Eine Entscheidung, die jeder für sich allein treffen sollte.
Reden wir über Dildos
In dem Gespräch mit der Sexualpädagogin habe ich erfahren, dass sie auf Kristalldildos setzt, was in mir direkt einen Aha-Moment ausgelöst hat. Des Öfteren ist mir aufgefallen, dass Frauen, die auf Kristalldildos schwören oder diese sogar selbst verkaufen, negativ auf andere Arten von Sextoys reagieren. Auf der einen Seite kann ich das verstehen, denn immerhin vermarkten sie ihr Produkt und glauben an die spirituelle Kraft, die mit Kristalldildos einhergeht, zum anderen finde ich es wieder zu radikal.
Ja, Kristalldildos werden 100 % natürlich hergestellt und sehen besonders ästhetisch aus. Und es mag sein, dass sich die Steine positiv auf dich auswirken und deinen Körper und Geist in Einklang bringen, aber nur wenn du daran glaubst, oder? Da haben wir wieder einmal die psychologische Komponente, die nicht bei jedem funktioniert. Genau wie bei dem Denken, dass wir ohne Vibrationen nicht mehr zum Höhepunkt kommen können. Wenn du nicht spirituell bist und an irgendwelche Energien glaubst, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein Kristalldildo einen anderen Orgasmus als ein Glasdildo hervorrufen wird. Was ich damit sagen will, ist, dass es total wichtig ist, die Menschen als Ganzes zu verstehen und zu sehen, was bei jedem Einzelnen funktioniert, ohne sie dabei in irgendeine Richtung zu lenken oder davon zu predigen, dass Kristalldildos viel besser im Vergleich zu normalen Dildos oder Vibratoren sind.
Ich teste gern für euch ein paar Kristalldildos, ganz unvoreingenommen, denn darum geht es. Raum machen, um zu experimentieren, Raum machen, um sich und seinen Körper besser kennenzulernen, offen zu sein für neue Erfahrungen und diese Erfahrungen weiterzugeben, ohne überzeugen zu wollen oder sich auf eine höhere Stufe zu stellen, die mit einer gewissen Erleuchtung einhergeht und unterschwellig immer Bad Vibrations vermittelt.
Insgesamt hat mich die Begegnung mit der Sexualpädagogin geprägt. Sie hat mir neue Denkanstöße gegeben und mich dazu gebracht, diesen Essay zu schreiben. Irgendwie entstand eine interessante Parallele und ich musste daran denken, wie man in manchen Städten durch die Straßen tingelt, auf der Suche nach dem nächsten vielversprechenden Restaurant, und dann stehen da diese Typen, Schlepper genannt und winken mit ihren Menüs, um dich in ihres hinein zu locken. Bei mir bewirkt das immer eine Gegenreaktion, die mich davon abhält, auch nur irgendeines dieser Restaurants in Betracht zu ziehen. Für manche funktioniert aber genau das, weil ihnen eine Entscheidung abgenommen wird, diese nicht selbst treffen wollen oder weil die Auswahl zu groß ist. Was auch immer für dich funktioniert, lass dich (an)leiten, bleib spielerisch und verbinde dich mit dir selbst … ob mit Vibrationen oder ohne.