Essays

Edging – Eine bittersüße Sinfonie

Mit Edging können wir die Orgasmusarbeit neu konstruieren und über das traditionelle Konzept hinausgehen; Zeit nehmen, Lust zelebrieren und diesen Zustand so lange wie möglich in die Länge ziehen.

Von Anne Lomberg am Juli 3, 2023 -
Aktualisiert am Oktober 21, 2023

Auch auf Englisch verfügbar
On the edge – A bittersweet symphony

Warst du schon einmal in einer Beziehung, in der dein Partner bestimmt hat, wann du zum Höhepunkt kommst und wann nicht? In der du quasi darum gebettelt hast, dich endlich entladen zu dürfen, weil du die lustvolle Quälerei nicht mehr aushalten konntest und verzweifelt geschrien hast „Oh please please, can I cum?“

Ich war in so einer BDSM-gesteuerten Beziehung, die jeher meine weibliche Wahrnehmung von Sex verändert hat. In dieser Beziehung ging es nicht um den Akt an sich, sondern um die Auslebung erotischer Sub / Dom-Fantasien. Hardcore-Edging bis zu einem Punkt, an dem die ganze aufgestaute erotische Energie in einem Ganzkörperorgasmus herausbricht, einem Orgasmus, den ich so noch nie zuvor erlebt habe.

Edging bedeutet nichts weiter als den Orgasmus hinauszuzögern, um das Gefühl beim Eintreffen zu intensivieren. Visuell gesehen stehst du wortwörtlich am Abgrund, jemand hält dich mit einem Seil zurück und lässt dich nur kurz in die Tiefen hinunterschauen, sodass dein Adrenalinpegel in die Höhe schießt. Dieser Jemand zieht dich immer und immer wieder zurück und lässt dich schließlich fallen. Eine Befreiung, die die Empfindungen eines normalen Orgasmus übersteigt und süchtig machen kann.

Orgasmuskontrolle

Beim Edging geht es um Orgasmuskontrolle, es geht darum, die Wahrnehmung für deinen Körper und die deines Partners zu schärfen. Du lernst deine Erregungskurve kennen und weißt sie einzusetzen. Was mir damals jemand in meiner BDSM-Beziehung beigebracht hat, habe ich später an mir selbstgetestet und das ist gar nicht so einfach. Zu groß ist die Versuchung, den eigenen Orgasmus geschehen zu lassen und sich in dem lustvollen Gefühl zu baden, aber es funktioniert mit viel Selbstkontrolle und Achtsamkeit. Versuche es beim nächsten Mal, wenn du dich selbst berührst. Leg eine kurze Pause ein, wenn du spürst, wie sich dein Orgasmus aufbaut und beginne von Neuem. Wiederhole diesen Prozess ein paar Mal, bis du wirklich die Schnauze voll hast und am liebsten wutentbrannt explodieren möchtest. Das Ergebnis ist lohnenswert. Edging verbessert die sexuelle Ausdauer in allen Lebenslagen, gibt dir ein besseres Verständnis deiner eigenen Lust und Orgasmusfähigkeit, um deine erotischen Grenzen zu erfahren und setzt neue Maßstäbe in Paarbeziehungen, in denen Frauen viel zu kurz kommen.

Während wir den Orgasmus oft als ultimatives Ziel anvisieren und einen eigenen persönlichen Minimarathon starten, geht dazwischen einiges verloren. Mit Edging können wir die Orgasmusarbeit neu konstruieren und über das traditionelle Konzept hinausgehen; Zeit nehmen, Lust zelebrieren und diesen Zustand so lange wie möglich in die Länge ziehen. Was dann geschieht, nennen wir tantrisches Bewusstsein, die Kreierung einer tiefen Verbindung zwischen dir und deinem Partner oder auch mit dir allein.

Point of no return

Es gibt mehrere Erregungsstufen, die man bei der Selbstbefriedigung oder beim Sex durchläuft. Angefangen von leichter Erregung, dem Aufbau starker Erregung bis zum Point of no return und schließlich dem Orgasmus. Die Kunst des Edgings besteht darin, vor dem Point of no return abzubrechen und eine Pause einzulegen. Also bevor du deine innerliche körperliche Lawine spürst, die mit Vaginalkontraktionen und Hitzewallungen einhergeht; noch bevor dein Atem schneller wird, du deinen Körper anspannst, deine Bewegungen mechanischer werden und sich deine ganze Aufmerksamkeit auf deine Vagina und Vulva richtet. Dadurch verteilt sich deine sexuelle Energie im ganzen Körper und bleibt dort, bis du nach einigen Malen die finale Erlösung herbeiführst.

Atme in den Pausen ein paarmal tief ein und aus und registriere die bittersüße Sinfonie, die dein komplettes Nervensystem durchzuckt, die ganze aufgestaute Energie, die am Ende wie ein Ball aus Lust, Wut, Angst und vielleicht sogar Trauer aus deinem Körper katapultiert wird. Ich erwähne Geisteszustände wie Wut und Trauer mit Absicht, da ich überzeugt bin, dass Körper und Geist unwillkürlich miteinander verbunden sind und ein Ventil nach außen geschaffen werden muss, sei es durch Kommunikation, dem Zugestehen von Verletzlichkeiten oder der regelmäßigen Orgasmustherapie. All diese Komponenten spielen eine entscheidende Rolle für ein gesundes Sein, indem innere Ablagerungen mit einem Knall befreit werden.

Orgasmen synchronisieren

Ich habe in einem vorherigen Artikel bereits über die Orgasmuslücke gesprochen, die den Unterschied erlebter Höhepunkte in Paarbeziehungen deutlich macht und bei denen Frauen erwiesenermaßen schlechter abschneiden. Nicht nur, dass Frauen bei reiner Penetration oft überhaupt nicht kommen, wenn sie kommen, dann im Durchschnitt 8 Minuten später als Männer. Mit Edging gestaltet sich eine Paarbeziehung intimer und man kann gemeinsam Orgasmen erleben, indem man sich Zeit nimmt, um länger in der Lust zu verweilen.

Der Weg ist das Ziel

Wenn wir Sex neu definieren und in heterosexuellen Konstellationen die Orgasmusfähigkeit von der Penetration abkapseln, dann entsteht ein größerer Spielraum für mehr Möglichkeiten, Lust auszuleben und zu teilen. Es ist erwiesen, dass die meisten Frauen eine klitorale Stimulation benötigen, um zum Höhepunkt zu kommen. Deswegen lohnt es sich, Zeit zu nehmen, das Vorspiel so lange wie möglich auszudehnen, mit Edging zu experimentieren, immer wieder von vorn anzufangen, sich einander kennenzulernen, körperlich und seelisch; Raum zu geben, um innezuhalten, zu kommunizieren und Sex als solches bewusst wahrzunehmen.

Sich öfters mal am Abgrund zu bewegen, bevor man wirklich loslässt, sorgt in vielerlei Hinsicht für Vorteile. So bekommt man nicht nur ein besseres Verständnis für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse, sondern bringt auch eine neue Dynamik in Paarbeziehungen, in dem man die eigene Lust sowie die des Partners in den Vordergrund stellt, diese aufbaut und zelebriert. Den Orgasmus zu verschieben ist nicht einfach, damit zu spielen, mit der Gewissheit, dass er bereits um die Ecke wartet, dafür umso erotischer.   

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