Essays

Slow Sex – Durch Entschleunigung zu mehr Achtsamkeit

Slow Sex ist eine echte Bereicherung in allen Lebenslagen. Dadurch finden wir wieder mehr zu uns, werden uns über unsere Wünsche und Bedürfnisse im Klaren und können diese auf unseren Partner übertragen.

Von Anne Lomberg am August 1, 2023 -
Aktualisiert am Oktober 21, 2023

Auch auf Englisch verfügbar
Slow Sex – The beauty of taking time

Wenn wir eins in unserem stressigen Alltag realisiert haben, hin und hergerissen zwischen Reizüberflutungen und Deadlines, die es zu meistern gilt, dann, dass wir im Bett dafür umso mehr Entspannung erfahren wollen. Die Ursprünge des Slow Sex liegen im Tantra und der Orgasmic Meditation und machen genau auf das Defizit in Bezug auf Stress und Leistungsgedanken beim Sex aufmerksam, um durch Entschleunigung zu mehr Achtsamkeit zu gelangen. Dabei geht es vor allem darum, die Orgasmusfixierung abzulegen, sich bewusst Zeit zu nehmen, um den eigenen sowie den Körper des Partners wahrzunehmen. 

Konzentrieren wir uns also eher auf den Prozess der geteilten Sexualität mit allem was dazu gehört, angefangen von zarten Berührungen, dem feucht bzw. steif werden bis zum letzten Stoß, anstatt auf den Orgasmus selbst, dann entsteht ein ganz neues Bewusstsein und Körperempfinden. Anstatt den Höhepunkt als ultimative Befreiung und Loslösens des stressigen Alltags zu betrachten, geht es um das „In sich hineinspüren“, dem Zelebrieren des Moments mit den gebündelten Wahrnehmungen, die zu oft auf dem Weg verloren gehen und das Gefühl für wahre Empfindungen beeinträchtigen.  

Abschalten heißt die Devise

Der wohl wichtigste Punkt beim Slow Sex ist, Alltagsgedanken hinter sich zu lassen und sich auf den Moment einzulassen, sich zu fokussieren, was empfinde ich gerade, was löst es in mir aus und was fühlt sich besonders gut an. Auch das Freimachen von Performancegedanken spielt eine wichtige Rolle, indem man sich nicht damit beschäftigt, wie sehe ich aus oder was tue ich als Nächstes, damit er oder sie am besten zum Höhepunkt kommt.

Achtsamen Sex zu praktizieren, fängt beim Bewusstsein an. Präsent zu sein im Hier und Jetzt, sich auf das Gegenüber 100 % einzulassen, sich selbst zu spüren, tief und langsam zu atmen, sich von Gedanken frei zu machen, jedes einzelne Gefühl wirklich wahrzunehmen und sich schließlich zu verbinden. Diese Verbindung zum Selbst und dem Partner bzw. Partnerin bringt neue Erfahrungen und stärkere Empfindungen. Es gehört auch ein wenig Mut dazu, zumindest, wenn man sich damit schwertut, seine verletzliche Seite zu präsentieren, um den Moment statt schnell und leidenschaftlich durchzuführen, mit klarem Blick entgegenzutreten.

Sinne anregen und entziehen

Eine schöne Erfahrung, Slow Sex zu praktizieren, kann der Sinnesentzug sein. Indem man sich z. B. die Augen verbinden lässt und dann auf die Berührungen eingeht, die nicht vorhersehbar sind und sich dadurch besonders intensiv anfühlen. Nackt und blind dem Partner gegenüber ausgeliefert, wird man wahrscheinlich auch nicht über das nächste Business-Meeting nachdenken, sondern eher, wo die nächste Berührung hinführen wird oder wie gut es sich anfühlt. Mehr Sinne anregen mit entspannter Musik oder Temperaturspielen kann auch sehr erregend sein. Hauptsache, das Handy ist aus und Zeit- und Raumempfinden nicht verfügbar.

Wenn ich an Slow Sex denke, stelle ich mir gegenseitige Massagen vor, das wahrhaftige Erkunden des Körpers meines Partners, dem genauen Beobachten, in welchen Momenten sich sein Gesichtsausdruck verändert oder ihm vielleicht ein kleines Stöhnen entgleitet, der allmähliche Aufbau von Erregung mit Finger- und Zungenspiel, dem Zueinanderfinden zwischen sehnsuchtsvollen Blicken, gekrönt durch einen höchst erfüllenden Orgasmus, den ich zumindest in diesem Fall nicht von mir abhängig mache, sondern allein für ihn bereitstelle. Penetration ist nicht ausgeschlossen, langsame und tiefe Bewegungen machen den Unterschied zu harten Stößen.

In einem älteren Artikel habe ich über Edging gesprochen. Hier eine kurze Erklärung: Während ich beim Edging kurz vor dem Orgasmus alle Berührungen einstelle und wieder von vorn beginne, baut sich der Orgasmus beim Slow Sex, wie der Name schon sagt, langsam auf und es ist auch keine Grundvoraussetzung, dass es überhaupt einen Orgasmus gibt. Wichtig ist das Gefühl im gegenwärtigen Moment, dem Präsenzsein und Wahrnehmen der Berührungen und was es in einem auslöst.

Langzeitbeziehungen neu definieren

Slow Sex ist eine echte Bereicherung in allen Lebenslagen. Dadurch finden wir wieder mehr zu uns, werden uns über unsere Wünsche und Bedürfnisse im Klaren und können diese auf unseren Partner übertragen. Natürlich spielt Kommunikation wie immer eine alles entscheidende Rolle, denn nur dann können wir unsere Lust frei und selbstbestimmt ausleben.

Wer denkt, dass er in einer Beziehung, die schon länger als 5 Jahre besteht, seinen Partner in- und auswendig kennt, sollte definitiv Slow Sex etablieren, um sich zu vergegenwärtigen, dass die Erkundungsreise noch längst nicht abgeschlossen ist. Wie sollte sie auch, wenn die meisten nicht mal sich selbst kennen und der Prozess der Weiterentwicklung stets vorangetrieben wird? Damit meine ich, dass ich vielleicht vor ein paar Jahren nie auf die Idee gekommen wäre, dass mir anale Stimulation gefallen könnte, aber mir nun die besten Orgasmen überhaupt beschert. Genauso entwickeln sich Paare in Beziehungen weiter und Berührungen an manchen Stellen fühlen sich jetzt vielleicht besser an als vorher, weil sie sich geöffnet und zugänglich für diese Empfindungen gemacht haben.

Schnell und leidenschaftlich ist immer gut und meist befriedigend, wenn einem die Lust auf den anderen plötzlich überkommt. Dennoch sollten wir ab und an eine Pause einlegen, innehalten und uns die Gegenwart des Moments vor Augen führen, mit dem Verlangen spielen, anstatt ihm sofort nachzugeben, um dann eine tiefere Intimität aufzubauen, die keine Verletzlichkeiten oder Ängste achtlos vorbeiziehen lässt, sondern diese mit vollem Bewusstsein wahrnehmen und durch Berührungen sensibilisieren.

Slow Sex gibt uns die Möglichkeit, uns wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren und uns von Alltagssorgen freizumachen. Immerhin definieren die meisten von uns „Sex als Stressventil“, der in vielen Varianten ausgelebt werden und für eine schnelle, heftige Befriedigung sowie eine langzeitliche, intensive Befriedigung sorgen kann, das wiederum hängt von der Art des Aktes ab und wie sehr wir uns auf unsere eigenen Bedürfnisse sowie die unseres Gegenübers einlassen.


    

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