Virtuelle Lust – Über Porno in unserer Gesellschaft
Ich bin der Meinung, Porno sollte nur als Genussmittel konsumiert und im ständigen Dialog mit sich selbst neu ausgehandelt werden. Die Fantasien erst mal verarbeiten, die Erregungen wahrnehmen und herausfinden, warum bin ich erregt, dann in die Kommunikation gehen mit dem eigenen Körper und dem Gefühl, das sich daraus ergibt.
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Virtual Pleasure
Hand aufs Herz: Schaust du Pornos und sprichst darüber ganz ungeniert? Wahrscheinlich nicht, denn Pornografie wird in unserer Gesellschaft immer noch stigmatisiert und oft mit Unmoral gleichgesetzt. Schon allein das Wort Pornografie löst etwas Provokantes, fast schon Aggressives aus, ein Wort, das etymologisch aus dem Altgriechischen abgeleitet wurde und unzüchtige Darstellung bedeutet. Es ist auch kein Zufall, dass die griechische Bezeichnung „pòrnē“ übersetzt Hure in Zusammenhang mit Porno negative Assoziationen hervorruft. Aber kann Pornografie nicht auch eine positive Wirkung haben und sich in unserer Gesellschaft als ein visuelles Kunstwerk etablieren, indem Lust einvernehmlich und ästhetisch anspruchsvoll ausgelebt wird und indem Zuschauer ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse besser definieren?
Ich habe das Buch Pornopositiv von Paulita Pappel gelesen und stimme einigen aufgeführten Aspekten ihrer Thesen zu, wenn es darum geht, sexuelle Selbstbestimmung als menschliches Grundrecht zu etablieren, für eine bessere Aufklärung in unserer Gesellschaft zu sorgen und nicht in Pornografie die Ursache des Problems zu suchen. Allerdings bin ich auch etwas zwiegespalten, was den individuellen Konsum von Pornos betrifft, denn es verändert unweigerlich unser Verhältnis zu Intimität und Sex, genauso wie das ständige Switchen von Social Media News auf unseren Smartphones. Was für den einen mit einem ich nenn es mal gesunden Pornokonsum zutreffen mag, ist für viele andere eine Illusion. Denn erotischer Content ist im Internet 24 Stunden am Tag abrufbar und das schnell und unkompliziert. Es findet nicht nur eine visuelle Reizüberflutung statt, sondern auch eine surreale Veranschaulichung von Sex, zumindest was die freizugänglichen Pornos im Internet betrifft. Ich spreche nicht von feministischen Pornos oder ethisch konsumierbaren Pornos, sondern all die Filme, die man ganz einfach googeln kann, indem man seinen Lieblingsfetisch nach Tagesstimmung aussucht. Außerdem sehe ich das Potenzial der Abstumpfung, was mit falsch gewählten und dem zu häufigen Pornokonsum einhergehen kann, insbesondere wenn wir von Menschen sprechen, die ihre Gefühle nicht offen kommunizieren und davon gibt es viel zu viele. Die Gefahr, die sich daraus ergibt, und das wurde auch schon wissenschaftlich erwiesen, liegt darin, dass Menschen weniger echte Intimität teilen, sondern sich eher mit virtuellen Bildern auseinandersetzen.
Was Pornografie mit Selbstbestimmung zu tun hat
Pornografie kann ein spannendes Tool sein, wenn es darum geht, sich Inspiration zu holen oder zu entdecken, welche Darstellungen besonders erregend wirken. Paulita beschreibt es als Schutzraum, um Fantasien zu genießen, wenn man differenziert, was sind Dinge, die einem vor dem Bildschirm anturnen und was davon tatsächlich in der Realität ausgelebt wird. Sie empfindet dies als gesunden Umgang, um mit Pornografie umzugehen. Da bin ich geteilter Meinung, zum einen sage ich ja, wenn es um “unethische Fantasien“ geht, die besser nur im Verborgenen ausgelebt werden, zum anderen finde ich es falsch. Geht es nicht eher darum, die Fantasien hemmungslos auszuleben ohne Scham und Gefühl von, das wäre jetzt falsch, aber eigentlich turnt es mich an und dies mit den Mitmenschen, die unmittelbar davon betroffen sind zu kommunizieren und bestenfalls zu teilen? Was nützt es denn, wenn ich mich allein mit Pornos zum Höhepunkt bringe, aber meinem Partner meine Fantasien nicht mitteilen kann? Dann wird es doch ein sehr einsames Vergnügen oder nicht?.
Natürlich befürworte ich total die Selbstbefriedigung und die Auseinandersetzung mit der eigenen Lust, aber die Abgrenzung von Wünschen und Bedürfnissen, die ich eigentlich mit meinem Partner teilen möchte, spielt hier eine wesentliche Rolle, die nicht zu unterschätzen ist. Da Sexualität einen Großteil unserer Identität ausmacht, würde ich ihre Aussage schon fast als unauthentisch bewerten. Es ist zwar schön, den Spielraum für nicht gelebte Fantasien in Pornos finden zu können, aber es nimmt auch viel von der eigenen Freiheit, nämlich der Freiheit des wahrhaftigen Auslebens dieser Fantasien, nicht nur mit sich selbst, sondern mit den Menschen, die man liebt.
Selbstbestimmt über die eigene Sexualität und den Pornokonsum zu entscheiden, ist wieder eine andere Geschichte, der sich, glaube ich viele Menschen nicht bewusst sind. Aus diesem Grund würde ich den sexpositiven Gedanken immer vor den Pornopositiven stellen, denn nur Menschen, die Wahrheit von Fiktion unterscheiden können, sich ihren sexuellen Vorlieben bewusst sind, sind Menschen, die Porno zumindest so, wie er jetzt im Internet zu finden ist, konsumieren sollten. Reden wir von feministischen Porno, wie ihn Paulita produziert, so stellt dies immer noch eine kleine Nische dar. Ich finde ihre Aufklärungsarbeit und all die Insights, die sie mit ihrem Buch Pornopositiv zur Verfügung stellt, richtig gut, aber kritisiere die einseitige, etwas naive Wahrnehmung von einer doch sehr selbstbewussten Frau, die ganz genau weiß, wie sie selbstbestimmt Entscheidungen trifft. Ich glaube, diesen selbstbestimmten Entscheidungen sind sich die meisten in Bezug auf Pornografie nicht im Klaren, sodass es easy zu Überkonsum oder einer Abgrenzung von echten Emotionen kommen kann. Deswegen bin ich der Meinung, sollte Porno nur als Genussmittel konsumiert und im ständigen Dialog mit sich selbst neu ausgehandelt werden. Die Fantasien erst mal verarbeiten, die Erregungen wahrnehmen und herausfinden, warum bin ich erregt, dann in die Kommunikation gehen mit dem eigenen Körper und dem Gefühl, das sich daraus ergibt.
Bereicherung in Beziehungen
In Beziehungen kann das gemeinsame Schauen von Pornografie durchaus inspirierend sein, um die Wünsche und Bedürfnisse des Partners zu verstehen sowie den Alltag etwas aufregender zu gestalten. Es ist vielleicht auch eine gute Wahl, wenn man selbst zu jenen gehört, die Schwierigkeiten haben, ihre sexuellen Begierden offen auszusprechen. Generell bin ich ein absoluter Fan von der Integrierung jeglicher Fantasien in einer Beziehung, um das Ganze in einem spielerischen, geschützten Rahmen sinnlich ausleben zu können. Ich weiß auch das die Sexwork-Community, die offensten Menschen überhaupt sind, die keinerlei Probleme haben, über ihre Vorlieben und Grenzen zu sprechen (immerhin sind sie Profis), dadurch Vertrauen wecken und zu einem Umdenken animieren. Mir geht es aber um die Zuschauer, jene, denen es nicht so leicht fällt, über Gefühle zu sprechen, jene, die enorm viel Aufarbeitung leisten müssen, um erst mal an diesen Punkt zu kommen.
Würde es nur noch bezahlten Porno geben, auf denen die Zuschauer mit Abonnements zugreifen können, wäre dies meiner Meinung nach der richtige Schritt in eine pornopositive Gesellschaft, aber so lang jeder sich zu nach Lust und Laune freizugänglichen Porno beschaffen kann, sind wir von dieser positiven Erfahrung noch weit entfernt.