Essays

Mythen über Jungfräulichkeit

Wären wir früher besser aufgeklärt worden mit medizinischen Fakten anstatt mit gruseligen Mythen, hätten wir uns dem ersten Mal wahrscheinlich ganz anders angenähert.

Von Anne Lomberg am Dezember 19, 2023 -
Aktualisiert am Dezember 21, 2023

Auch auf Englisch verfügbar
Myths about Virginity

Fast alle Mädchen sind mit der Vorstellung aufgewachsen, dass sich in ihrer Vagina ein zartes Häutchen befindet, das beim ersten Geschlechtsverkehr reißt. Und diese Vorstellung kommt nicht von ungefähr, nein sie wurde so vermittelt, ob in der Schule, in der Kirche, im Verwandtenkreis oder in Filmen. Die Darstellung läuft folgendermaßen ab: Sobald das Mädchen von ihrem Partner penetriert wird, verliert sie ihr heiliges Jungfernhäutchen. Ab diesem Moment ist sie keine Jungfrau mehr (daher auch das irreführende und falsch dargelegte Wort), was in manchen Kulturen als unrein aufgefasst wird, sodass den Familienmitgliedern in der Hochzeitsnacht ein blutiges Bettlaken präsentiert werden muss, um den Beweis der hundertprozentigen Jungfräulichkeit darzulegen.

Heute wissen wir, dass das Jungfernhäutchen als solches gar nicht existiert, sondern sich um Hautfalten bzw. Krone/ Kranz (vaginale Korona) handelt. Dennoch halten viele Kulturen an diesem Mythos fest, um Frauen ihre sexuelle Selbstbestimmung zu verweigern und natürlich den patriarchalischen Werten weiterhin schön brav zu folgen, nämlich, dass nur ein Mann mit seinem kraftvollen Speer die Unschuld einer Frau nehmen kann. Warum es allerdings höchste Zeit ist, diesem Irrglauben mit medizinischen Fakten entgegenzutreten und den Zusammenhang von Jungfräulichkeit und vermeintlichem Jungfernhäutchen endlich zu unterbinden, erkläre ich in diesem Artikel.

Vaginale Korona nicht Jungfernhäutchen

Der Begriff Jungfernhäutchen ist so falsch, wie er nur sein kann und sollte im sprachlichen Gebrauch überhaupt nicht mehr vorkommen. Zum einen wird damit der Zustand der Jungfräulichkeit aka Unschuld inkorrekt dargestellt und zum anderen handelt es sich nicht um eine Haut, die den Vaginalkanal verschließt. Würde es sich um eine Haut handeln, würde kein Menstruationsblut ablaufen. Richtig ist „vaginale Korona“; ein Fachausdruck, den die Schweden bereits übernommen und damit gleichzeitig das Jungfernhäutchen erfolgreich abgeschafft haben. Bei der vaginalen Korona handelt es sich um ringförmige Hautfalten, die sich von Frau zu Frau unterscheiden; sie gehören zum weiblichen Körper und bleiben das ganze Leben lang bestehen, sie verschwinden auch nicht nach dem ersten Geschlechtsverkehr.

Gehen wir der Frage des Blutes auf den Grund. Wie ich bereits am Anfang dieses Beitrags erwähnt habe, ist es in manchen Kulturen immer noch üblich das Blut auf dem Bettlaken der Hochzeitsnacht als Beweis der Jungfräulichkeit dient. Ein Mythos, der für diese Frauen fatale Folgen hat, zumindest, wenn kein Blut nachgewiesen werden kann. Nun ist es so, dadurch das kein Häutchen existiert, geschweige denn reißt, muss es auch nicht unbedingt bluten. Falls doch Blut im Spiel ist, liegt es oft an Verkrampfungen der Vaginal- und Beckenbodenmuskulatur oder kaum vorhandener Lubrikation aufgrund von Aufregung oder Druck von außen. Auch die vaginale Korona kann verletzt werden, sodass es zu Blutungen kommt.

Produkt des Patriarchats

Jungfräulichkeit ist ein gesellschaftlich konstruiertes Bild, das tief im Patriarchat verwurzelt ist. Mit dem Begriff des Jungfernhäutchens wird ein Siegel der Unschuld manifestiert, dass fast wie eine Ware wirkt und nur durch Männerhand bzw. Schwanz gebrochen werden kann. Dabei geht es vor allem um Kontrolle und Macht, um Frauen in ihrer Lebensführung einzuschränken. Während Männer so viele sexuelle Erfahrungen wie möglich machen sollten, trifft auf Frauen das Gegenteil zu, was sich mit dem Mythos des Jungfernhäutchens bestätigt.

In Kulturen, in denen Frauen lediglich als Objekt gelten, werden verschiedene Tests angewandt, um die Jungfräulichkeit zu prüfen. Diese Keuschheitstests unterliegen keinerlei Grundlage, denn die vaginale Korona sagt überhaupt nichts über die sexuelle Aktivität aus. Verantwortlich für diese schmerzhaften und beschämenden Verfahren sind natürlich Väter oder zukünftige Ehemänner.

Das erste Mal muss weder wehtun noch bluten

Denken wir nur zurück, wie sich die Falschinterpretation des Jungfernhäutchens in unseren Köpfen und auch in unseren Körpern bemerkbar gemacht hat, dann bringen wir diesen Begriff sofort mit Unbehagen, Schmerz und Ängsten in Zusammenhang, was klar ist, wenn man von einem Häutchen spricht, dass durch die Penetration einreißt. Filme, in denen der Partner mit Worten „Hoffentlich tue ich dir nicht weh“ versucht zu beruhigen, helfen da nur wenig.

Wären wir früher besser aufgeklärt worden mit medizinischen Fakten anstatt mit gruseligen Mythen, hätten wir uns dem ersten Mal ganz anders angenähert. Mit dem Wissen, dass es gar kein Jungfernhäutchen gibt, wären wir wahrscheinlicher viel entspannter an die Sache herangegangen. Dann hätten wir nicht gebannt darauf gewartet, dass in unserem Inneren möglicherweise etwas reißt, das wir es sogar spüren können. Dann hätten wir uns nicht verkrampft und uns gefragt, wann es endlich vorbei ist. Das erste Mal hätte für die meisten Frauen eine ganz andere Bedeutung gehabt. Es wäre auch nicht unmittelbar mit Penetration verknüpft worden oder dem Verständnis, dass es dazu unbedingt einen Mann braucht.

Wenn man sich das so genauer vor Augen führt, hat der Mythos der Jungfräulichkeit enormen Schaden angerichtet und die Sage wird weiterhin fröhlich verbreitet, um Frauen in Unwohlsein und Kontrolle zu hüllen. Deswegen ist es so wichtig, sich mit der weiblichen Anatomie selbst auseinanderzusetzen, den Begriff vaginale Korona gesellschaftsfähig zu machen und das Jungfernhäutchen ein für alle Mal aus unserem Vokabular zu verbannen.

Empfohlene Beiträge

Lust am Schmerz

Schmerz verinnerlicht das Hier und Jetzt, sodass andere Probleme nebensächlich werden. Man könnte es als Art ...

vor 6 Monaten Von Anne Lomberg

Hallo Liebesmuskel – Mit dem richtigen Workout zu besserem Sex

Beim Liebesmuskel-Training geht es vor allem um zwei wichtige Phasen, der Anspannung und der Entspannung. Nur ...

vor 8 Monaten Von Anne Lomberg

Bindungstrauma und sexuelles Begehren

Frühkindliche Traumata führen automatisch zu einer veränderten Wahrnehmung der Sexualität und spiegeln oft Muster aus der ...

vor 10 Monaten Von Anne Lomberg

Anal-Basics erklärt

Analsex ist aus vielen Gründen reizvoll. Frauen empfinden die anale Penetration viel intensiver und kommen in ...

vor 5 Monaten Von Anne Lomberg

Produkte vom Marktplatz